„Eine klare Vision und die Fähigkeit, Menschen mitzunehmen – das ist im Dirigieren wie in der Beratung entscheidend.“

 

19.12.2024
München

Über das Dirigieren eines Blasorchesters und seinen Weg in die Strategieberatung – Hanna Hellenbroich-Schrader (Personalmanagement actori) im Gespräch mit Julius Geiger über seine Beratertätigkeit.

 

Hallo Julius, wie schön dich bei mir im Interview zu haben.
Grüß dich, Hanna.

Seit August 2022 arbeitest du bei actori in der Beratung und gehst gleichzeitig deiner Leidenschaft dem Dirigieren nach. Wie bist du zu actori gekommen?
Zu actori kam ich durch meinen Wunsch, verschiedene Kulturinstitutionen zu unterstützen und weiterzuentwickeln. Ursprünglich komme ich sowohl aus dem künstlerischen als auch aus dem pädagogischen Bereich der Musik, habe Posaune und Blasorchesterleitung/Dirigieren studiert und Erfahrung am Theater und in der Musikschule gesammelt. Auf meinem Weg zum Musikschulleiter – das war damals mein ursprüngliches Ziel – habe ich dann ein Zertifikat zum Kulturmanager gemacht. Als ich das erfolgreich abgeschlossen hatte, habe ich gemerkt, dass ich mich nicht nur auf eine Kulturinstitution oder einen spezifischen Bereich beschränken, sondern viel lieber unterschiedliche Institutionen auf ihrem Weg in eine gute Zukunft begleiten möchte. Ehrlicherweise gibt es hier oft Nachholbedarf. In meinen Überlegungen kam ich dann schnell auf Beratung, habe mich am Markt umgeschaut, bin auf actori als in dem Bereich führendes Unternehmen gestoßen und habe mich kurzerhand beworben – glücklicherweise erfolgreich! Das Dirigieren möchte ich deshalb aber natürlich nicht ganz aufgeben und freue mich, dass ich meine Leidenschaft immer wieder neben der Arbeit verwirklichen kann.

Lassen sich denn Parallelen zwischen deiner Tätigkeit als Strategieberater und der als Dirigent erkennen?
Absolut, im Prinzip sind bei beiden Tätigkeiten zwei Dinge entscheidend. Einmal eine klare Vision und einmal, dass es gelingt Menschen für diese Vision zu gewinnen beziehungsweise sie auf dem Weg dorthin „mitzunehmen“. Die ausgeklügeltste Strategie bringt uns nichts, wenn sie kein übergeordnetes Ziel verfolgt und es nicht gelingt sie so zu verankern, dass die Menschen, die dahinter stehen, sie auch umsetzen wollen. In der Musik ist das genauso. Aufführungen erreichen dann etwas, wenn sie den Zuhörerinnen und Zuhörern ein Erlebnis, einen besonderen Moment, schenken. Als Dirigent ist es meine Aufgabe, dieses Etwas zu entwickeln und dann zu vermitteln. Am Anfang der Probenphase bringen dabei alle Musikerinnen und Musiker eigene Ideen und Vorstellungen mit. Umso wichtiger ist es, die ganze Zeit über dafür offen zu bleiben, Ideen aufzunehmen und gleichzeitig die eigene Vision nicht aus den Augen zu verlieren. Dabei geht es natürlich – wie überall – nicht immer nur um die Sache selbst, sondern auch um ein Verständnis für das soziale Gefüge beziehungsweise die Menschen und deren Bedürfnisse. Schlussendlich entsteht immer dann etwas Gutes, wenn es gelingt, all die Ideen zu etwas „Gemeinsamen“ zusammenzuführen.

Sehr spannend, könnte man das auch auf die Arbeit bei actori und die Beratung von Kulturinstitutionen übertragen?
Klar, die Arbeit in Projekten stellt ganz ähnliche Ansprüche an mich. Natürlich ist es nicht immer unsere Aufgabe die entwickelten Konzepte auch im Betrieb umzusetzen. Oft geht es auch erstmal darum transparente Entscheidungsgrundlagen zu schaffen, erst danach erfolgt eine mögliche Umsetzung. Unabhängig von der Projektart, braucht es aber eine klare Vision für das Ergebnis und bereits in der Erarbeitung eine Offenheit, alle Perspektiven einzubeziehen und zu diesem „Gemeinsamen“ zusammenzuführen. Ich bin sicher, dass das einer der entscheidenden Gründe ist, warum unsere Zusammenarbeit mit den Kundinnen und Kunden auch bei herausfordernden Fragestellungen oft als sehr positiv wahrgenommen wird und sich die Institutionen gut aufgehoben und verstanden fühlen.

Ich kann mir vorstellen, dass die Nähe zur Musik dir die Arbeit mit Kundinnen und Kunden dieser Einrichtungen zusätzlich erleichtert, oder wie würdest du das beschreiben?
Ob es die Arbeit selbst entscheidend erleichtert, kann ich gar nicht mit Gewissheit sagen. Natürlich hilft es, auf eigene Erfahrungen zurückgreifen zu können und ein Verständnis von den Strukturen und Gepflogenheiten zu haben. Dennoch ist jede Institution anders und man muss sich tief einarbeiten, um ein tatsächliches Verständnis für die individuelle Situation vor Ort entwickeln zu können. Ich würde sagen, die eigene Erfahrung ist oft ein Türöffner und gewährt mir immer wieder einen kleinen Vertrauensvorschuss. Ganz nach dem Motto: Gleich und gleich gesellt sich gern. Die anschließende Arbeit bleibt jedoch die gleiche und wird letztlich an den Ergebnissen gemessen.

Wie schätzt du die Zukunft der Orchester in Deutschland ein? Unter dem Aspekt Nachwuchs, aber auch in Richtung Audience Development?
Um Orchester und deren Nachwuchs mache ich mir keine Sorgen – im Gegenteil: Live- und Akustik-Musik hat eine ganz eigene Faszination, die auch sicherlich so bestehen bleiben wird. Aber klar, Kulturinstitutionen selbst stehen aktuell vor unterschiedlichen Herausforderungen. Noch immer gibt es viel Nachholbedarf sich zukunftsfähig aufzustellen, neben dem Standardthema Digitalisierung, betrifft das meines Erachtens insbesondere auch eine Modernisierung im tatsächlichen Angebot und der Ansprache. Klassische Kultur bzw. Kulturveranstaltungen sollten wieder häufiger dorthin kommen, nicht nur das Historische zu bewahren und weiter zu perfektionieren, sondern insbesondere Aspekte wie Vernetzung, Diskurs und Gemeinschaftsgefühl für eine breitere Zielgruppe in den Mittelpunkt zu stellen. Viele machen das oder haben sich bereits auf den Weg begeben, meins Erachtens gibt es hier aber auch oft noch Steigerungspotenzial. Ich selbst wünsche mir von den einzelnen Veranstaltungen zunehmend mehr als nur das Konzert selbst. Kulturveranstaltungen sollten Orte des Wohlfühlens sein, an denen alle aus den Gründen teilnehmen können, die gerade für sie wichtig sind. Austausch, kritisch auf Themen schauen, Gemeinschaft oder auch einfach nur Abschalten und Zuhören. Orchestermusik hat hier für mich eine ganz besondere Wirkung und kann – sofern der Rahmen stimmt – all das verbinden und ermöglichen!

Im Team bist du sehr schnell angekommen, was war denn dein Projekt Highlight in den letzten beiden Jahren?
Bei actori bin ich wirklich schnell angekommen. Das Team hat mich sehr herzlich aufgenommen und ich habe mich direkt wohlgefühlt. Trotz des guten Austauschs mit dir und dem positiven Eindruck im Bewerbungsgespräch, war der Wechsel zu actori doch auch ein Blindflug. Von der Musikschule im öffentlichen Dienst in die Wirtschaft und noch dazu in die schnelllebige Beratungsbranche: Hin zu einem ungewohnten neuen Alltag und einer bisher nie dagewesenen Arbeitsweise galt es für mich einen völlig neuen und unbekannten Weg einzuschlagen. Das Team und das gut strukturierte Onboarding haben mich jedoch perfekt abgeholt und schnell integriert. Von daher habe ich auch von Anfang an die Arbeit und den Alltag bei actori genossen und das Schöne ist: Je länger ich dabei bin und je mehr ich mich auch außerhalb von actori mit anderen über die Arbeit und den Alltag hier austausche, umso mehr weiß ich es zu schätzen und freue ich mich, diesen Schritt gewagt zu haben.

Ein einzelnes Projekthighlight mag ich gar nicht herauspicken, ich bin ja gerade deswegen bei actori, weil ich so viel Unterschiedliches kennenlernen kann. Von daher gab es viele wunderbare Erlebnisse und Erfolgsmomente: von der ersten fertiggestellten Unterlage, über die erste Pressekonferenz, den Austausch mit der Politik bis hin zu Begehungen der Häuser mit intensivem Blick hinter die Kulissen, besondere und persönliche Momente in Interviews oder dem Austausch mit der kompletten Mitarbeitendenversammlung an einem Haus.
Von den Projekten losgelöst ist aber sicherlich ein Highlight die angenehme Arbeitsatmosphäre und das kollegiale Miteinander im Team. Es braucht bei allen sowohl die Begeisterung für die Kultur, Bildung und Entertainment als auch das sachliche und analytische Denken. Aus meiner Sicht zieht diese Kombination super Leute an und ich freue mich jedes Mal im Büro die Kolleginnen und Kollegen zu treffen und zu wissen, dass jeder für jeden da ist.

Wenn du heute die Chance hättest, ein Profiorchester zu dirigieren, was würdest du gerne mal auf die Bühne bringen und mit welchem Orchester?
Ich komme aus der Blasorchesterszene und beschränke meine Antwort daher auch mal darauf. Abgesehen von den Polizei- und Bundeswehrorchestern sowie der Sächsischen Bläserphilharmonie gibt es bei uns im professionellen Bereich eigentlich ausschließlich Projektorchester und keine Berufsorchester. Für die Kulturlandschaft als solches würde ich mir hier eine Änderung wünschen – für mich persönlich braucht es das zum Dirigieren aber tatsächlich gar nicht. Ich habe in meiner Dirigier- und Dozententätigkeit so viele fantastische Musikerinnen und Musiker sowohl aus dem Profi- als auch dem Laienbereich kennengelernt, mit denen man ein ganz wunderbares Orchester zusammenstellen könnte. Zur Aufführung würde dann sicherlich etwas sehr Episches kommen. Ich lasse mich schnell von „Großem“ begeistern. Für meinen Masterabschluss hatte ich damals bereits eine Kombination aus der Bläserphilharmonie der Hochschule sowie meinem Heimatverein geplant: ein Werk mit Orchester auf der Bühne und einer Kapelle, die durch den Saal läuft, ein anderes Werk gemeinsam mit Orgel. All das musste wegen Corona ausfallen, jedoch hatten wir dennoch ein großartiges Konzert in Ensemblebesetzung. Ich denke in diese Richtung würde es gehen: ein großes, das Konzert umfassende Werk mit Mischung aus Symphonischem, ruhigen Kontrapunkten, kleinen Spielereien zwischendurch die das Publikum zum Schmunzeln bringen und einem gigantischen Abschluss mit fettem Sound, wie man so schön sagt. Das perfekte Werk habe ich dafür leider noch nicht, aber wer weiß, wenn es mir gelingt das Orchester zusammenzustellen, ist die Auftragskomposition ja vielleicht gar nicht mehr weit hin.

 

Team