Eine digitale Erfassung von Sammlungsobjekten eröffnet für jedes Haus eine Bandbreite von Möglichkeiten:
- weltweite Forschung, Vernetzung und Austausch zu den Beständen/Objekten des Hauses (z. B. zu Provenienz und allgemeiner Forschungslage)
- „Bewahrung“ von relevanten Daten von Kulturgütern (z. B. durch Naturkatastrophen, Krieg)
- Einsatz bei der Vermittlung (z. B. partizipative, niedrigschwellige Lern- und Vermittlungsformate)
- erweiterte Möglichkeiten der Ausstellungskonzeption (z. B. mit Unterstützung von KI-Software, Einbeziehung der Community bei der Wahl, welche Objekte gezeigt werden)
- sowie zusätzliche Einnahmequellen (z. B. via Merchandise oder NFTs).
Gerade weil eine digitale Datenbank so viele Möglichkeiten bietet, wird in den Zeiten zunehmender Digitalisierung davon ausgegangen, dass dies heute in Museen bereits Standard ist. Eine im Jahr 2021 veröffentliche Umfrage des hessischen Museumsverbandes zeigt jedoch deutlichen Nachholbedarf auf. Laut Umfrage gaben zwei Drittel der Museen an, dass sie aktuell noch ausschließlich mit Papier oder Karteikarten Objektbeschreibung und Katalogisierung durchführen und die durchschnittliche Inventarisierungsquote bei rund 50% liegt.
Um den Sammlungsbestand eines Hauses einmal – auch digital – zu erfassen, bietet sich eine Generalinventur an. Im Rahmen unterschiedlichster Museumsprojekte haben sich einige zentrale Aspekte für die Planung einer Generalinventur herauskristallisiert. Die folgenden Punkte weisen darauf hin, welche wichtigen Entscheidungen vor Beginn einer Generalinventur getroffen werden müssen und auf was bei der Planung geachtet werden sollte.
1) Ein Ziel definieren
Das Ziel der Generalinventur sollte möglichst klar definiert werden. So ist beispielsweise festzulegen, ob die gesamte Sammlung oder nur bestimmte Objekte bzw. ein Sammlungsbereich erfasst werden soll, welche Daten je Objekt (z. B. Objektbezeichnung, Inventarnummer, Maße, Standort) erfasst werden sollen (Hilfestellung kann hier der Leitfaden des Deutschen Museumsbundes bieten), ob jedes Objekt fotografiert werden soll oder ob auch für eine spätere Nutzung in der Vermittlung z. B. die 3D-Daten eines Objektes erhoben werden sollen. Darüber hinaus ist festzulegen, ob neben der Erfassung der Objekte weitere Teilprojekte durchgeführt werden, z. B. eine Notkonservierung von Objekten oder eine Deakzessionierung von ausgewählten Objekten. Ebenso sollte überlegt werden, wie mit Dauerleihgaben und Neuzugängen der Sammlung verfahren wird – werden diese ebenfalls in der Planung und Durchführung der Generalinventur betrachtet oder gibt es hierfür einen separaten Prozess. Dabei ist grundsätzlich zu beachten, dass eine Generalinventur nicht eine vollständige wissenschaftliche Aufarbeitung jedes einzelnes Objektes zum Ziel hat, sondern eine „Grunderfassung“ durchgeführt wird. D.h. je Objekt werden die zentralsten Daten erfasst, denn je mehr Daten pro Objekt erfasst werden sollen, desto zeit- und damit auch kostenintensiver ist das Projekt. Denn durch eine vollständige Erfassung der Sammlung bieten sich in den nächsten Schritten wertvolle Optionen für das Haus, wie z. B. die Möglichkeit diese Daten in eine Online-Sammlung zu überführen.
2) Eine Entscheidung für eine Datenbank treffen
Anschließend an die Fragestellung welche Daten pro Objekt erfasst werden sollen, ist die Thematik, mit welcher Datenbank die Generalinventur durchgeführt werden soll – eignet sich die bereits verwendete Datenbank am Haus oder soll eine Neue implementiert werden. Zu berücksichtigen sind neben den Anforderungen des Hauses an die Datenbank auch Schnittstellen zu anderen Datenbanken, wie der Deutschen Digitalen Bibliothek. Ebenso sollte auch der Blick zukunftsorientiert sein – möchte das Haus z. B. perspektivisch stärker digitale Vermittlungsformate anbieten und die Objekte in 3D erfassen und eignet sich dafür auch die verwendete Datenbank. Neben den Investitionskosten, die eine neue Datenbank mit sich bringt, sind darüber hinaus auch die Kosten für die Schulung der Mitarbeitenden, ggf. Anpassungskosten der Datenbank für einen besseren Fit zum Haus sowie Kosten für technischen Support einzuplanen.
3) Die Ressourcen (realistisch) planen
Bei einer Generalinventur handelt es sich je Umfang bzw. Anzahl der zu erfassenden Sammlungsobjekte, um ein größeres und mehrjähriges Projekt. Dies stellt klar die Frage in den Fokus, wie viel Personal mit welchen Kompetenzen wird benötigt und wie viel bzw. welche Aufgaben können oder müssen vom Stammpersonal des Hauses übernommen werden. Dabei ist für die Generalinventur nicht ein großer Aufbau des Stammpersonals nötig, sondern unterschiedliche Projektstellen zu besetzen (z. B. das Team, dass die Erfassung durchführt, eine Projektleitung, die die Generalinventur steuert, ggf. eine Teamleitung, die das Erfassungsteam betreut). Das Stammpersonal hat dabei die Aufgabe das Projektteam der Generalinventur mit seinem Know-how zu unterstützen (z. B. durch eine Qualitätsüberprüfung der erfassten Datensätze/Objekte, bei Rückfragen während der Erfassung). Zentral für das Gelingen des Projektes ist eine erfahrene Projektleitung für die Generalinventur, die sowohl die Kosten- als auch die Zeitplanung im Auge behält.
4) Einen zeitlichen Rahmen definieren
Je Zielstellung und Entscheidung bezüglich der Datenbank und des Personals sind wie die verschiedenen Projektschritte in eine zeitlich sinnvolle und realisierbare Reihenfolge zu legen. Dabei kann es hilfreich sein, z. B. Vorprojekte zu definieren, wie die Etablierung von Standards für die Datenbankeingabe, Entwicklung von Prozessabläufen, die Schulung von Mitarbeitenden sowie die Durchführung einer Pilotphase, in der die Prozesse eingeübt und optimiert werden können, bevor die Generalinventur dann „richtig“ startet. Dazu können weitere Teilprojekte parallel erfolgen oder der Generalinventur nachgelagert werden, wie etwa die Notkonservierung von gefährdeten Objekten.
Die angeführten Aspekte bilden nur einen Teil der notwendigen Entscheidungen und Maßnahmen ab, die in Vorbereitung auf eine Generalinventur getroffen werden sollten. Daher ist eine gute strategische Planung mit einer klaren Zielvision für alle Beteiligten elementar, denn sie bietet die Grundlage für eine transparente Kostenkalkulation und zeitliche Planung des Prozesses. Sicherlich ist es hilfreich, sich über die Vorgehensweise anderer Museen zu informieren und auszutauschen. Spannende Einblicke in eine laufende Generalinventur bieten sich auf dem Blog des Historischen Museum Basels.
Betont werden sollen zum Abschluss des Impulses ein weiteres Mal die Möglichkeiten, die sich durch eine Generalinventur bieten bzw. durch neue Technologien entwickeln; so z. B. das Projekt „Training the Archive“, das am Ludwig Forum Aachen verortet ist und sich mit dem Thema KI in der Sammlungserschließung beschäftigt. Kuratoren und Kuratorinnen können dadurch bei der Erarbeitung eines Ausstellungskonzepts von KI unterstützt werden und somit einen neuen Blickwinkel auf eine Sammlung gewinnen. Auch bieten digitale Daten die Möglichkeit für eine gemeinsame grenzübergreifende Zusammenarbeit und Forschung – womit sich ebenfalls neue Perspektiven auf die Sammlungen ergeben können.
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Ein Impulsbeitrag von Jessica Kirchner-Wagner, Beratung.