Interview mit Prof. Maurice Lausberg - Kultur muss an Relevanz zurückgewinnen!

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Wilfried Hösl, Bayerische Staatsoper
Interview in der Münchner Abendzeitung mit Prof. Lausberg I Foto: 2023 Nikolaus Schäffler

Wie bringt man die Besuchenden nach Corona wieder in die Theater, Konzertsäle und Opernhäuser? Der Neustart aus Sicht eines Beraters kultureller Institutionen. Der Diplom-Physiker arbeitete erst bei Roland Berger Strategy Consultants und baute dann an der Bayerischen Staatsoper den Bereich Sponsoring auf. 2005 gründete er die Kulturberatung actori GmbH. Er ist außerdem Professor für Kulturmanagement an der Hochschule für Musik und Theater.

Zwei Jahre lang war das kulturelle Leben stark heruntergefahren, teilweise sogar komplett zum Erliegen gekommen. Jetzt herrscht bei privaten, städtischen und staatlichen Veranstaltern Angst: Werden die Zuschauer zurückkommen? Wie hat sich das Freizeitverhalten geändert?

AZ: Herr Lausberg, können Theater und Konzertveranstalter nach Corona einfach so weitermachen, als sei nichts geschehen?
Nein. Die Veränderungen sind gewaltig. Die Legitimation von Kultur als gesellschaftlich relevante Instanz wurde politisch erschüttert. Das hat man schon daran gesehen, dass andere Bereiche wie Gastro und zum Teil auch der Sport bevorzugt wurden, während man in Kulturveranstaltungen weiter mit Maske, Abstand, 2G plus und radikaler Platzreduzierung umgehen musste. Da hat die Coronakrise ans Licht gebracht, dass die Kultur eben doch weniger stark in Politik und Gesellschaft verankert ist, als viele dachten. So ist die Frage: Wie schaffen es Kultureinrichtungen, in Zukunft wieder an gesellschaftlicher und politischer Relevanz zu gewinnen?

Und das noch zusätzlich nach großen Einnahmeverlusten.
Da gehen unsere Schätzungen von zu 2,5 bis drei Milliarden Euro Verlusten bei Kartenverkäufen und Sponsoring-Einnahmen aus. Diese Löcher wurden bisher noch gestopft durch staatliche Zuschüsse, Kurzarbeit und Rücklagen.

Und die finanzielle Lage der Länder und Kommunen ist angespannter als zuvor.
München hat seine Kulturausgaben reduziert und zum Beispiel der Staatsoper rund fünf Millionen Euro städtischen Zuschuss gestrichen. Viele andere kommunale Kultureinrichtungen erleben ähnliche Schreckensszenarien. Und dazu kommt, dass sich bereits abzeichnet, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer - den Zahlen nach - nicht mehr auf das Vor-Corona-Niveau zurückkehren. Es dauert sicher noch zwei Jahre, bis sich das alles wieder auf einem neuen Niveau einpendelt. Und alle Kultureinrichtungen, die ein älteres Publikum haben, werden das noch stärker zu spüren bekommen. Das alles zusammen führt zu einer weiterhin prekären Situation der Kultureinrichtungen.

Obendrein wurden Teile der Bevölkerung auch ökonomisch von Corona getroffen, so dass etliche Menschen inzwischen weniger Geld zur Verfügung haben.
Absolut, auch wenn die Arbeitslosigkeit weiterhin gering ist und Kurzarbeitergeld viel abfedern konnte. Bei den höheren Einkommensgruppen gibt es aber deutlich weniger Einschnitte, so dass die "Hochkultureinrichtungen" nicht unbedingt unter den finanziellen Einbußen ihrer Besucher leiden. Im hochpreisigen Gastronomie- oder Tourismusmarkt kann man auch sehen, dass durchaus Nachholbedarfe da sind und die Menschen sich etwas gönnen wollen.

Aber es gibt so etwas wie eine Änderung der Verhaltensweisen durch Corona, oder? Man hat sich angepasst und umorientiert. Abonnententraditionen sind abgerissen.
Ja, die Leute sind entwöhnt und verstärkt in einen "On-Demand"-Modus übergegangen: suchen, was einen interessiert, es gleich abrufen, ohne auf irgendwelche Strukturen, Zeiten oder Abo-Termine Rücksicht nehmen zu müssen. Das Freizeitverhalten hat sich deutlich verändert.

Nun arbeiten Sie ja in einem Beratungsunternehmen, das Methoden sucht, um da gegenzusteuern.
Die Aufgabe muss es jetzt sein, die Leute wieder heranzulocken. Es ist ein Neustart, der versuchen muss, altes Publikum zurückzuholen und neues zu interessieren. Und da muss man sich natürlich auch fragen: Was spiele ich für wen, wie sieht mein Programm aus, um attraktiv zu sein? Ich befürchte, dass die Leute nach dem Corona-Stress auch ein bisschen mehr heile Welt suchen.

Nun ist es nicht die Aufgabe der Kultur, das Publikum einzulullen.
Natürlich, nur ist der Spagat zwischen unbequemen, intellektuell herausfordernden, anspruchsvollen Programmen und "kulinarischer Unterhaltung" für die Kulturschaffenden im aktuellen Marktumfeld eine besondere Herausforderung. Was aber für Konzertveranstalter, Theater und Museen enorm wichtig geworden ist, ist das Ganze, was man unter dem Stichwort "Digitalisierung" fassen kann. Da geht es nicht nur darum, dass man eine Veranstaltung auch streamen kann, sondern vor allem um die Frage: Wie spreche ich die interessierten potenziellen Besucher online an, weil sich alle noch viel mehr im digitalen Raum bewegen? Da gibt es einen riesigen Nachholbedarf für Kulturveranstalter, die verschiedensten Kanäle zu nutzen. Auf diesem Gebiet haben die Kultureinrichtungen eigentlich gute Voraussetzungen, weil sie oft lange Ticketing-Historien und viele Daten über ihre Zuschauer haben und damit sehr genau auswerten könnten, wer sich wofür interessiert und mit welcher Botschaft man ihn ansprechen muss. Da liegt ein großer Hebel, um Besucher zurückzuholen und neue, vor allem jüngere Zuschauer zu gewinnen.

Aber das ist doch genau die Gefahr von Algorithmen: Warum soll ich Leute immer nur dahin schicken, wofür sie sich ohnehin interessieren? Das schafft doch eine kulturelle Verarmung.
In so einer Krisensituation wie jetzt muss doch erst einmal das pragmatische Ziel sein, so viele wie möglich zurückzugewinnen. Zudem gibt es Tools wie "future demand", die mit Hilfe von Algorithmen für alle Vorstellungsarten, auch für experimentelle Uraufführungen, das richtige Publikum finden können. Das langsame Tempo der Offline-Kommunikation mit gedruckten Programmen, Flyern und Plakaten ist nicht mehr zeitgemäß. Und gerade in einer Zeit, wo sich ja Saalpläne und Eintrittsbedingungen täglich ändern können, muss man digitaler, personalisierter und schneller kommunizieren können.

Was kommt denn nach dem Ende der Abo-Ära als Bindung an Institutionen?
Ein Opernhaus, das sehr gut ausgelastet ist, wird weiterhin gut Abos verkaufen können, weil die Leute sichergehen wollen, dabei sein zu können. Und viele Leute wollen auch weiterhin eine Struktur in ihrem Kulturkalender haben. Aber natürlich gibt es die Entwicklung, dass gerade jüngere Zielgruppen nicht mehr langfristig und exakt gebunden sein wollen. Es wird zunehmend auf individuellere "Packages" rauslaufen, z. B. eine Gruppe von Veranstaltungen mit einem preislichen Vorteil und mit gewissen Wahlmöglichkeiten. In Zukunft wird es immer mehr personalisierten "curated Content" geben. Das heißt, der Kulturkonsument erhält auf seine individuellen Interessen abgestimmte Empfehlungen bzw. eine personalisierte Zusammenstellung von passenden Veranstaltungen. Die technischen Möglichkeiten dafür gibt es schon.

Wie es ja Zeitungen auch machen, indem sie Lesern eine Auswahl anbieten, Überblick und Orientierung geben. Aber die Zeitungen haben den Vorteil, dass sie aus allem sozusagen überparteilich aussuchen können, während Privatveranstalter natürlich wollen, dass man nicht fremdgeht.
Absolut. Und es ist auch mühsam, wenn ich zum Beispiel Lust auf einen Klavierabend in den nächsten Tagen habe, mir alle Veranstalterprogramme auf verschiedenen Websites zusammenzusuchen. Da wäre es doch praktisch, wenn auf meinem Smartphone eine für mich passende Auswahl auftauchen würde. Aber dazu müsste es eine Veranstalter- und Ticketing-übergreifende Meta-Lösung geben. Die wird sicher noch kommen. Da könnten dann digital auch Zusatzangebote eingebaut werden, die man dazu bucht - wie eine kurze digitale Konzerteinführung zum Beispiel oder eine Erläuterung eines Dramaturgen oder Regisseurs, wie es sie schon auf manchen Homepages gibt. Und wenn ich dann damit noch einen Tisch nach der Vorstellung reservieren kann, nimmt mein Kulturabend eine besonders attraktive Gestalt an.

Presse: Kultur-Berater im Interview: So holen die Veranstalter ihre Besucher zurück (AZ, 05.02.22)

 

Ein Interview mit Prof. Maurice Lausberg, Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter.

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